Partizipativer “Walkscape” in Antholz und Cortina bestätigt kritische Haltung: Protect Our Winters Italy e.V. im Dialog mit den Austragungsorten von Mailand-Cortina 2026
Mailand, 30. April 2025 – Im Rahmen des zivilgesellschaftlichen und ökologischen Monitorings der Bauprojekte im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen Mailand-Cortina 2026 hat Protect Our Winters Italy (POW Italy) zwei Formate partizipativer Beobachtung und des Austauschs organisiert. Die sogenannten Walkscapes fanden in zwei Austragungsorten statt, die direkt von den olympischen Bauvorhaben betroffen sind: in Rasen-Antholz (BZ) im Dezember 2024 und in Cortina d’Ampezzo (BL) im April 2025.
Ein Walkscape ist eine Kombination aus den englischen Begriffen walk (Spaziergang) und landscape (Landschaft). Es handelt sich um einen kollektiven, geführten Spaziergang, der dazu dient, sich kritisch mit den Auswirkungen olympischer Infrastrukturprojekte auf die betroffenen Regionen auseinanderzusetzen – insbesondere im Hinblick auf Umwelt, Gesellschaft und Raumplanung.
Ziel der Initiativen war es, den Fortschritt der Infrastrukturmaßnahmen vor Ort zu analysieren, Perspektiven und Anliegen der lokalen Bevölkerung aufzunehmen und einen offenen Dialog über die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Olympischen Spiele – sowie ihres langfristigen Vermächtnisses – auf bereits sensible und stark beanspruchte Alpenräume zu ermöglichen.
Durch diese kollektiven “Wanderformate” konnten kulturelle und landschaftliche Zusammenhänge besser erfasst sowie kritische Fragen aufgeworfen und Stimmen aus dem lokalen Kontext gehört werden. Die Veranstaltungen wurden in enger Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen, Umweltverbänden, Gemeindeverwaltungen und zivilgesellschaftlichen Gruppen durchgeführt.
Antholzertal: Herausforderungen bei Mobilität und Raumplanung
Beim Walkscape im Antholzertal wurden insbesondere folgende Themen diskutiert: der Ausbau des Biathlonzentrums, die Errichtung eines neuen Wasserspeichers im Wald zur künstlichen Beschneiung sowie geplante Änderungen der Verkehrsführung.
Zu den Teilnehmenden zählten u. a. Bürgermeister Thomas Schuster, Vertreterinnen der aktuellen und früheren Gemeindeverwaltung, CAI Südtirol, der Dachverband für Natur- und Umweltschutz, der Heimatpflegeverband, Climate Action Südtirol, Pro Pustertal, der Tourismusverein Antholzertal, interessierte Bürgerinnen sowie Vertreter*innen der Legacy Group, die mit der Nachnutzung der olympischen Infrastrukturen beauftragt ist.
Aus dem öffentlichen Austausch am 13. Dezember 2024 ergaben sich drei zentrale Problemfelder:
- Begrenzte Bürgerbeteiligung: Es wurde mehrfach die fehlende Einbindung der Bevölkerung in die räumliche Planung kritisiert – insbesondere angesichts eines Projekts dieser Größenordnung, das unter hohem Zeitdruck, mit beträchtlichen Finanzmitteln und oftmals mangelnder Transparenz umgesetzt wird.
- Nachhaltigkeit der Mobilitätsplanung: Trotz der Zielsetzungen des Klimaplans Südtirol 2040, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, bestehen Zweifel an der Dimensionierung und Ausgestaltung der geplanten Kreisverkehre in Rasen-Antholz und Olang – trotz zwischenzeitlicher Projektüberarbeitungen.
- Notwendigkeit von Dialog und Balance: Die Teilnehmenden forderten einen intensiveren Austausch zwischen Institutionen und Bevölkerung, um ein Gleichgewicht zwischen lokalen Bedürfnissen, ökologischen Grenzen und Entwicklungsperspektiven im alpinen Raum zu finden.

Cortina d’Ampezzo: Stadtentwicklung und umstrittene Nachnutzung
Der Walkscape in Cortina widmete sich insbesondere den infrastrukturellen Maßnahmen rund um die sogenannte „Variante von Cortina“ (Umfahrungstunnel), der neuen Bobbahn sowie der Umgestaltung des ehemaligen Bahnhofs.
Vertreten waren unter anderem die Initiativen Voci di Cortina, Cortina Bene Comune, Libera Cadore, Italia Nostra, Plattform Pro Pustertal, Ci Sarà un Bel Clima, Patagonia Cortina sowie der Umweltaktivist Silverio Lacedelli. Auch Michele Di Gallo von der Fondazione Cortina war informell anwesend.
Im Zentrum der Diskussion standen drei übergeordnete Themen:
- Mangelnde Einbindung bei Bewerbung und Planung: Mehrere zivilgesellschaftliche Akteure bemangelten die begrenzte institutionelle Beteiligung und die eingeschränkte Informationsverfügbarkeit zu laufenden Projekten. Die Ablehnung eines Referendums über die Beteiligung an den Olympischen Spielen wurde als weiterer Ausdruck fehlender demokratischer Teilhabe gewertet.
- Verhältnis von Nutzen und Belastung für die lokale Bevölkerung: Cortina, als etablierter Tourismusort, könnte durch zusätzliche infrastrukturelle Eingriffe weiter unter Druck geraten – ohne dass die Bevölkerung in ihrer Breite davon profitiert. Kritisch bewertet wurden insbesondere: die Fokussierung auf hochpreisigen Tourismus, fehlende Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge, die kostspielige Bobbahn sowie die Missachtung struktureller Probleme wie der hydrogeologischen Instabilität der Hänge im Cadore-Tal.
- Unklare und potenziell dysfunktionale Nachnutzung (Legacy): Insbesondere die Variante von Cortina wirft Fragen auf. Viele Infrastrukturen drohen überdimensioniert und nicht mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Region abgestimmt zu sein. Erforderlich wäre ein strategischer, klimaangepasster Umgang mit dem alpinen Raum – statt punktueller Großprojekte ohne nachhaltige Integration.

POW Italy: Klare Positionierung – eine verpasste Chance
Die Ergebnisse der Feldaktivitäten bestätigen die Kernthesen des von POW Italy veröffentlichten Positionspapiers „Mailand-Cortina 2026: Eine verpasste Chance“. Das Dokument verweist insbesondere auf:
- Mangelnde Transparenz und schwache Governance: Die Entscheidungsprozesse rund um die Olympiaplanung erfolgten ohne ausreichende Bürgerbeteiligung, ohne vertiefte Umweltbewertungen in Belluno und ohne Anbindung an nationale und internationale Klimastrategien.
- Hohe Umweltbelastung und nicht nachhaltige Mobilität: Die geplanten Bauvorhaben sind vielfach landschaftlich invasiv, ohne erkennbare Strategie zur strukturellen Dekarbonisierung im regionalen oder überregionalen Verkehrsbereich.
Fragwürdige Legacy und soziale Ungleichheit: Es besteht das Risiko, dass viele Infrastrukturen nach den Spielen ungenutzt bleiben, während die finanziellen und ökologischen Lasten bei den lokalen Gemeinschaften verbleiben – die ohnehin bereits überdurchschnittlich stark von der Klimakrise betroffen sind.
POW Italy fordert einen Paradigmenwechsel
Protect Our Winters Italy unterstreicht die Dringlichkeit eines grundlegenden Wandels in der Planung und Durchführung sportlicher Großereignisse im Gebirge:
Nicht die Region soll sich den Spielen anpassen – sondern die Spiele dem Ort.
Erforderlich sind wirklich inklusive, partizipative Entscheidungsprozesse, die soziale und ökologische Folgen frühzeitig und transparent bewerten und in eine nachhaltige Gesamtstrategie integrieren. Ziel muss eine gerechte, nützliche und resiliente Legacy sein – für Menschen, Natur und Klima.POW Italy wird auch weiterhin aktiv zum Thema arbeiten – gemeinsam mit der Schwesterorganisation Protect Our Winters France, die in der kommenden Austragungsregion der Winterspiele 2030 tätig ist. Gemeinsam teilen wir Erkenntnisse und Erfahrungen, um dort nachhaltigere Spiele umzusetzen. POW France hat dafür bereits 17 konkrete Leitlinien entwickelt, die eine klima- und gemeinwohlorientierte Ausrichtung der nächsten Winterspiele ermöglichen sollen.
Pressekontakt:
Sofia Farina – Editorial Lead, Protect Our Winters Italy
📧 sofia@protectourwinters.it
Cover Foto © Beatrice Citterio